BAD AACHEN 02-2021

34 | B AD A ACHEN 02/21 UNTERWEGS EN OCHE // MIT SABINE MATHIEU AUF WINGERTSBERG: ÖCHER HEUSCHRECK Ein kleiner Spaziergang durch den Kurpark lohnt sich auch im Winter. Den Öcher Jecken ist aber sicher das karnevalistische Herz schwer, wenn sie das Eurogress passieren. Steht das Haus doch sonst zu Jahres- beginn wie kein zweites dem närri- schen Treiben zur Verfügung. Wer Lust hat, kann hinter dem Eurogress den Weg in Rich- tung alte Wetterwarte einschla- gen und den Wingertsberg erklimmen. Dort entdeckt der Spaziergänger den wahrscheinlich nördlichs- ten Weinberg Westeuropas. Die jecken 99 Rebstöcke gehören dem Aachener-Karnevals-Verein (AKV), der hier seit 1979 seinen Öcher Heuschreck Durchbruch anbaut. Den Namen verlieh ihm Ordensritter und Altbundespräsident Walter Scheel. Er geht zurück auf die Stif- terin der Reben, die 1848 gegründete Trierer Karnevalsgesellschaft KG Heuschreck, mit der der AKV schon seit anno dazumal freund- schaftlich verbunden ist. Der Riesling wird von Ehrenamtlern des AKV gelesen und von einem Trierer Winzer gekeltert. Der Ertrag liegt je nach Witterung jährlich bei 50 bis 80 Flaschen zu je einem halben Liter. Die Pacht für den Weinberg beträgt elf Flaschen, die Ober- bürgermeisterin Sibylle Keupen normalerweise während der närrischen Ratssitzung überreicht bekommen hätte. Wingertsberg, Stadtgarten, niedrigster der drei Aachener Hausberge PUPPENBRUNNEN: NÄRRISCHE MASKEN Der Öcher Karneval, d’r Fasteleer , steht schon seit 2014 als immate- rielles Weltkulturerbe unter dem Schutz der UNESCO. In der Innen- stadt findet der Besucher zwischen Hof und Kriem (Krämerstraße) am von Bonifatius Stirnberg 1974 gestalteten Puppenbrunnen einen Hinweis auf das jecke Ereignis. Der Brunnen besteht aus zwei unter- schiedlich großen Kompen , die auf die beiden einstigen Stadtmauern hinweisen. Die originellen, beweglichen Figuren laden große und kleine Kinder zum Spielen ein. Dabei kann man jeder Figur eine hiesige Besonder- heit zuordnen: Der Domherr steht für die Kirche, die Modepuppe in ihrem Rüschen- kleid für die Tuchindustrie. Der Professor s ymb o l i s i e r t Aachen als Uni- versitätsstadt, der Harlekin Kunst, Kultur und Theater. Die Masken an der Stange repräsentieren schließlich den Öcher Fasteleer , der nicht nur viele karnevalistische Traditionen, sondern auch den deutschlandweit bekannten Orden wider den Tierischen Ernst zu bieten hat. Über den Masken hängt das fröhliche Pferd , das sich auf den CHIO , das Aachener Reitturnier, freut. Es trägt einen Reiter in preußi- scher Uniform, der auf die Stadt als Teil der Rheinprovinz im 19. Jahrhundert hinweist. Sein römischer Helm erinnert an Aachen, als es noch Aquis Granni hieß. Das Öcher Maatwiiv repräsentiert die schlauen und geschäftstüchtigen Frauen. Der Hahn hoch oben auf dem Brunnen erinnert wohl an die Zeit unter napoleonischer Besatzung. Damals bekam Aachen seinen französischen Namen Aix la Chapelle . Für die Aachener jedoch personifiziert das krähende Federvieh den cleveren und aufgeweckten Aachener Bürger. Puppenbrunnen, Krämerstraße TIPPS FÜR TRIPS AMERÖLLCHE I: KARLSMARIONETTE Der Mythos Kaiser Karls des Großen war in den vergangenen Jahrhunderten stets dem jeweiligen Zeitgeschmack unter- worfen. So musste eijjen Kejser Karl nicht selten auch für Volks- belustigungen, Hohn und Spott herhalten. So tauchte Karl der Große irgendwann höchstpersönlich während des Einmarschs seines zu krönenden Nachfolgers auf. Eine fast drei Meter hohe Stelzenpuppe begleitete den Umzug als Karl der Große. In dem hochkomplizierten Automaten, der mit den Krönungsinsignien und einem Mantel bekleidet war, steckte ein Artist, dem einiges abverlangt wurde: Er musste auf Stelzen über das Aachener Pflas- ter balancieren, ein Modell des Domes festhalten, Süßigkeiten unter den Kindern verteilen und von Zeit zu Zeit die Augen der Puppe rollen lassen. Respekt! Die Marionette wurde lange Zeit gehütet, bis Napoleon Aachen besetzte. Anlässlich der Feierlich- keiten zur Taufe Napoleons II. holte man die Stelzenpuppe wieder hervor. Diesmal jedoch sollte es ihr letzter Auftritt sein, denn die Franzosen hingen dem Kaiser ein Schild um, auf dem geschrieben stand: Niemand ist größer als Napoleon . Den Öchern platzte der Kragen. Sie fielen wütend über die Puppe her und zerstörten sie für immer. Foto: S. Mathieu Foto: C. Hartmann

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