„Einige von ihnen kannte ich schon persönlich, manches hat sich auch im Nachhinein ergeben. Intensiv haben wir zweieinhalb Jahre an dem Projekt gearbeitet. Dabei kamen uns die Recherchen von Iris Gedig vom ,Familienbuch – Euregio‘ zugute. Sie forscht schon seit vielen Jahren zum Thema und hat uns sehr unterstützt“. So ist ein umfangreiches Buch über den jüdischen Friedhof in Aachen entstanden und damit auch eine Dokumentation jüdischen Lebens der vergangenen zwei Jahrhunderte. Die Neugier auf jüdische Friedhöfe ist schon beim kleinen Holger Dux geweckt worden, weil auch in seiner Heimat der Friedhof hinter einer hohen Mauer versteckt lag. „Für mich als Kind war einfach spannend, das Verborgene dahinter zu finden“, erzählt er gern. So machte sich der Erwachsene auf die Suche hinter den Mauern der Lütticher Straße. Erstaunlich, dass die alten Gräber von den Nationalsozialisten unzerstört geblieben sind. Holger Dux erklärt sich das so: „Ich denke mal, der Friedhof ist relativ groß und seine Lage war entscheidend. Hier war immer ein reines Wohngebiet. Es gibt wenige Kneipen und Orte, wo man sich hätte versammeln und Mut antrinken können, um dann auf dem Friedhof die Grabsteine umzustoßen.“ Heute sind zwar viele Gräber noch vorhanden, aber in ihrer Standfestigkeit nicht mehr sicher. Deshalb musste man einige Steine niederlegen. Der Friedhof ist Eigentum der jüdischen Gemeinde, die für ihn aufkommen muss. Es gibt niemanden mehr, der hier wohnt und nach dem Rechten schaut. Ein Förderverein für den jüdischen Friedhof hat sich zur Aufgabe gemacht, diesen zu erhalten. Gräber erzählen Geschichten Auch die Familie Mayer, die ursprünglich die heutige Buchhandlung gegründet hat, hatte jüdische Wurzeln. Wie Holger Dux erklärt, sind sie jedoch später zunehmend christlich getauft worden. „Der Grabstein von Frau Mayer steht heute noch auf dem ehemaligen evangelischen Friedhof im Stadtpark an der Monheimsallee.“ Helmut Falter hat ihn restaurieren lassen. Auch die Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof erzählen die Geschichten von Aachener Familien. Unter ihnen sind zahlreiche Händler und Fabrikanten, solider Mittelstand, selten übertriebener Reichtum. „Leider sind die hebräischen Inschriften manchmal fehlerhaft“, schmunzelt Holger Dux, „das kommt daher, dass die Aachener Steinmetze kein Hebräisch konnten und die Vorlagen oft missverstanden haben“. Ein wenig aus dem Rahmen fällt die Gruft der Familie von Fedor Meyer. Das bronzene Denkmal wurde vom namhaften Bildhauer Karl Gustav Rutz aus Köln geschaffen. Das Grab für Schwiegertochter Julie Meyer gleich gegenüber ziert ein marmorner Engel. Für die neuere Aachener Geschichte ist das Grab der Familie Holländer interessant. Hier liegen die Eltern von Anne Franks Mutter begraben. Bei ihnen hatte Anne während des Umzuges in die Niederlande einige Monate verbracht. Rosa Holländer ist im Exil in Amsterdam gestorben. Einige Meter weiter findet man die Grabstätte der Eheleute Schlachet. Dorothea Schlachet stand auf Schindlers Liste und wurde so gerettet. Ihr Mann Simon Schlachet betrieb über Jahre in Aachen das Haus der Mode, ein Herrenmodengeschäft, in dem sich die Aachener Männer für alle Anlässe stilvoll einkleiden konnten. Simon Schlachet war lange Zeit Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Aachen. Er war einer der Initiatoren und unermüdlicher Kämpfer für den Wiederaufbau der Synagoge an historischer Stelle in der Stadt. 1995 wurde sie dort fertiggestellt. Auf dem Friedhof an der Lütticher Straße sind noch nicht alle Pläne verwirklicht. Professorin Anke Fissabre von der FH Aachen hat bereits Ideen für eine Gedenkstätte im ehemaligen Aufseherhäuschen im Kopf und ebenfalls für die Trauerhalle, sobald sie nicht mehr gebraucht wird. Zunächst jedoch haben die Aachener Gelegenheit, sich mit der spannenden Geschichte eines so ruhigen Ortes auseinanderzusetzen – auf 514 Seiten im neuen Buch oder bei einem Rundgang vor Ort (s. Infokasten S. 22). STADTHISTORIE 01/23 BAD AACHEN | 21
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