4 | BAD AACHEN 05/23 KARLSPREIS 2023 „Sie sind einer von uns!“ Der Karlspreis 2023 ist außergewöhnlich. Ausgezeichnet werden die Ukraine und ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj. Eine Solidaritätsbekundung, die nicht nur den Kanzler auf den Plan ruft. Ob der Hauptakteur nach Aachen kommt, ist dagegen offen. Caroline Fister-Hartmann blickt voraus. DER PREIS 1950 ins Leben gerufen, heißt Aachens wichtigste Auszeichnung pro Europa seit 1988 Internationaler Karlspreis zu Aachen. Fraglos benannt nach Karl dem Großen, dem Pater Europae – Vater Europas. Die Historie der Medaille ist ein Spiegel der Geschichte des europäischen Einigungsprozesses. 63 Preisträger wurden bisher ausgezeichnet – Gründerväter der Europäischen Gemeinschaft, Hoffnungsträger der Erweiterungen, Verantwortliche für Institutionen, Akteure der Wende, Impulsgeber auf kultureller und sozialer Ebene. Präsidenten oder Päpste. Doch der Preis, der für Persönlichkeiten bestimmt ist, die sich um Europa verdient gemacht haben, geht heute weiter, setzt Zeichen, bezieht Stellung. So wurden 2022 drei belarussische Aktivistinnen für ihren Einsatz für die Demokratie geehrt. Und 2023? Der 64. Karlspreis geht an S. E. Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, und an das ukrainische Volk. Im Abwehrkrieg gegen die russische Invasion würden europäische Werte verteidigt, argumentiert das Karlspreisdirektorium. Die Auszeichnung sei daher eine Ermutigung, rasch Beitrittsverhandlungen mit der EU zu führen. DER PREISTRÄGER Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj wurde 1978 in der ukrainischen Sowjetunion geboren. Nach seinem Jurastudium erlangte er Popularität als Schauspieler und Komiker – was ihn schließlich zur Politik brachte. Die Rolle als Hauptdarsteller in Diener des Volkes (ein ehrlicher Präsident räumt mit der korrupten ukrainischen Politik auf) führte zur Gründung einer nach der TV-Serie benannten Partei, für die Selenskyj als Präsidentschaftskandidat antrat. Nötig hätte er das nicht gehabt, Selenskyj ist steinreich, im April 2022 schätzte die Zeitschrift Forbes sein Vermögen auf mehrere Millionen US-Dollar. So oder so trauten ihm die Ukrainer viel zu und wählten ihn 2019 mit 73 Prozent der Stimmen klar zum Präsidenten. Kein leichtes Amt, denn trotz einiger Anfangserfolge wurde bald offensichtlich, dass weder Popularität noch Mehrheiten ausreichten, um die versprochenen radikalen Änderungen zu bewirken. Bis sich am 24. Februar 2022 alles änderte, die Stunde null für das Land schlug: Die russische Invasion begann. Wolodymyr Selenskyj sehen wir seither fast täglich in Olivgrün, wenn er wortgewandt den Durchhaltewillen des Volkes beteuert und die Unterstützung des Westens einfordert. Nur Stunden nach Kriegsbeginn soll er am 24. Februar 2022 um 6.40 Uhr Ortszeit den damaligen britischen Regierungschef Boris Johnson angerufen und auf Englisch in den Hörer gebrüllt haben: „Wir werden kämpfen. Boris, wir werden nicht aufgeben.“ Von dem Tag an soll er überdies seine Kinder – Selenskyj ist seit 2003 mit Olena Selenska verheiratet, ihre Tochter Aleksandra wurde 2004 geboren, Sohn Kiril 2013 – nicht mehr gesehen haben. „Der Feind hat mich zum Ziel Nr. 1 erklärt, meine Familie zum Ziel Nr. 2“, betont Selenskyj die Notwendigkeit dazu. Seine Standhaftigkeit brachte ihm hohe Anerkennung ein: Die Unterstützung in der Bevölkerung stieg laut Umfrage von 25 auf 90 Prozent. Der Präsident scheut sich nicht, unbequem zu sein, fordert „Munition und keine Mitfahrgelegenheit.“ Und er hofft auf einen schnellen EU-Beitritt: Seit Juni 2022 hat das Land den Kandidatenstatus. DIE ENTSCHEIDUNG Jetzt hält der Karlspreis der Ukraine den EU-Steigbügel: Die Entscheidung für den diesjährigen Preisträger sei einstimmig getroffen worden, erklärt Dr. Jürgen Linden, Sprecher des Direktoriums. Foto: Präsidialamt der Ukraine
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