Rückenwind 01/2024

3 EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser. „Klassenfahrt in die Zukunft“ – das klingt nach fliegendem Klassenzimmer und Harry Potter. Weit gefehlt: Geflogen wurde nicht und Fantasy gab’s auch nicht. Stattdessen fuhren Vertreter*innen des Bonner Stadtrats, der Stadtverwaltung, IHK und Handwerkskammer mit ADFC und VCD per Zug nach Utrecht, einer real existierenden fahrradfreundlichen Stadt, etwa so groß wie Bonn. Utrecht zeigt, wie Vorfahrt für Vernunft auch gehen kann: mit einem Fahrradparkhaus mit 12.500 Plätzen direkt am Bahnhof und an 245 km geschützten Radwegen. Umsonst gibt es das natürlich nicht: Autoparkplätze und Straßenraum mussten und müssen für die gute Radwegeinfrastruktur weichen. Utrecht ist ein gutes Beispiel dafür, dass – um einem ehemaligen Bundeskanzler zu widersprechen – wer Visionen hat, noch lange nicht zum Arzt muss. Die Vision ist die Stadt der 10-Minuten-Wege: Alle wichtigen Ziele sollen in 10 Minuten zu erreichen sein – also in optimaler Fahrradzeit. Jede Menge Anregungen für Bonn, wo ein durchgängiges Hauptroutennetz hoffentlich bald vom Stadtrat beschlossen und umgesetzt wird. Allerdings bleiben auch in Utrecht Konflikte zwischen Fahrradfahrenden und Fußgängern nicht aus, so dass auch fahrradfreie Zonen geschaffen wurden. Beim Thema Rad und Regeln geht es immer auch um Wahrnehmungen. Der Rückenwind nimmt sich des Themas an und versucht, Emotionen zu Fakten zu schmieden. Aber was sind eigentlich Fakten? Zahlen jedenfalls schon mal nicht unbedingt. Wie hätten wir uns alle über die Statistik gefreut, die das Bundeministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) veröffentlichte: Jede(r) Zweite fährt mit dem Rad zur Arbeit! Juhu, Wählerstimmen für bessere Radweginfrastruktur sind gesichert! Wer in den Stadträten jetzt dagegen stimmt, ist dem politischen Untergang schon anheimgegeben! Wäre da nicht das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung: Es kürte diese Offenbarung zur Unstatistik des Monats: 50 Prozent ja, aber eben nur 50 Prozent derjenigen, die überhaupt Radfahren. Also fährt eher jeder Zehnte mit dem Rad zur Arbeit. Naja, zehn Prozent sind besser als nichts, und es kann ja noch mehr werden. Selbst der ADAC sieht die Fahrradleuchte am Ende des Tunnels und weiht freudig eine neue Radservicestation am Elberadweg ein. Und da wir gerade bei Tunneln sind: Wer umweltfreundlich mit dem Rad nach Kotor in Montenegro reisen möchte, nimmt u.a. den Zug von Belgrad nach Bar und kommt dabei durch 254 Tunnel und über 245 Brücken. Warum sollte man nach Kotor? Erstens ist der Ort mit seiner Altstadt UNESCO-Weltkulturerbe und zweitens – aufgemerkt Bonner*innen! – gibt es eine Seilbahn, die sage und schreibe in nur einem Jahr gebaut wurde. (Challenge Bonn: Einholen und überholen!) Allerdings ist die Seilbahn in Kotor mehr ein Tourismus- als ein Mobilitätsprojekt, und Tourismus setzt aufs Fahrrad: Im Bergort Kuk angekommen, gibt’s einen Fahrradverleih, und bergab geht es 24 wunderschöne Kilometer mit dem Rad. Montenegro bietet auch sonst einiges für Radfahrende. Bergig ist es schon, anderes wäre bei dem Ländernamen nicht zu erwarten. Ob Montenegro, Dänemark, Fahrradmarathon Paris-Brest oder Erinnerungen an Fahrradtouren der 50er Jahre – bei den Reiseberichten ist für jeden Velo- geschmack etwas dabei. Dasselbe gilt auch für die freiwilligen Helferinnen und Helfer im ADFC, von denen dringend mehr gesucht werden. Ob Sie sich eher mit Schrauben oder mit Wirtschaftsplänen auskennen oder ob Sie einfach Kinder ans Radfahren bekommen wollen – Wir freuen uns auf Sie! Bevor Sie aber jetzt sofort den Schraubenzieher zücken, wünsche ich Ihnen im Namen der Redaktion eine anregende Lektüre, ein frohes Weihnachtsfest und ein friedliches Neues Jahr. Ihre Gisela Zimmermann Gisela Zimmermann Foto: Axel Mörer

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