BAD AACHEN 07-2021
6 | B AD A ACHEN 07/21 KULTUR Eine Falschmeldung und ihre Folgen Als Mitte Mai 1521 in Antwerpen die Nachricht die Runde machte, dass der Reformator Martin Luther angeblich verschleppt und ermordet worden sei, war Dürer zutiefst bestürzt. Luther, der am 31. Oktober 1517 an der Schlosskirche zu Wittenberg 95 Thesen angeschlagen hatte und am 3. Januar 1521 mit einem päpstlichen Bann belegt worden war, sollte tot sein? Das durfte nicht sein! Dürer, der sich schon in seiner Nürnberger Zeit für die Gedanken Luthers hatte erwärmen können und auf seiner Reise mehrere Bücher von und über ihn erstand – so kaufte er zum Beispiel am 28. Oktober die Condemnation Lutheri für einen Weißpfennig – sah sich genötigt, zu handeln. Umgehend schrieb er an Erasmus von Rotterdam (1466–1536), den er noch im September 1520 in Brüssel angefangen hatte, zu porträtieren. Ausdrücklich bat er ihn um Hilfe, sich für dessen Bestrebungen gegen das „unchristliche Papsttum“ und die „ungerechte Tyrannei der weltlichen Gewalt“ einzusetzen. Dass Dürer mit der Luther-Klage persönlich ein Stück Weltliteratur verfasste, wird im Ausstellungskatalog bezweifelt. Eher fügte er die fremde Schrift (Autor ist vermutlich ein Antwerpener Prior) lediglich seinen eigenen Notizen bei. Das Suermondt-Ludwig-Museum zeigt hierzu mehrere Exponate und Schriften, die sich keiner entgehen lassen sollte. Mehr als Meeresgetier Dürers Interesse an Tieren ist bekannt. Seine naturalistische Studie eines Hasen (1502) gehört zum Wundervollsten auf diesem Gebiet. Auch seine hier in Aachen ausgestellte Zeichnung eines Hundes ver- setzt den Betrachter in Staunen. Was für eine genaue Beobachtungs- gabe er besessen haben muss! Doch ein Walross? Wo bitte schön soll er das zu Gesicht bekommen haben? Die Fachwelt bezweifelt es! Von ihm selbst links oben in der Zeichnung auf das Jahr 1521 datiert worden, befand er sich schon längst auf der Rückreise nach Nürn- berg. Einzig ein Halt in Straßburg könnte ihm die Möglichkeit geboten haben. Nicht in natura, aber in Form eines Gemäldes von Hans Baldung Grien (1484/5–1545), der dieses 1518 nach einem in Salzlake eingelegten Walrosskopf angefertigt hatte. Auch Albrecht Dürer hat der Versuchung nicht widerstehen können, ein solch exotisches Tier – für jemanden aus dem Süden Deutschlands wird es das gewesen sein – auf Papier zu bannen. Auf der motivischen Jagd nach einem gestrandeten Wal war er zuvor in Zeeland fulminant gescheitert, hatte Schiffbruch und Krankheit erlitten. In Aachen ist seine Zeichnung von einem Wesen, dessen Länge er mit „zwölf brabantische Ellen“, was einer Länge von 8,30 Meter entspräche, angibt, jetzt zu sehen. Einfach fantastisch ! Porträtzeichner in Perfektion Einen Großteil seiner Reise finanzierte sich Albrecht Dürer durch das Anfertigen von Porträtzeichnungen; meistens in Kreide oder Kohle. Eine der schönsten Zeichnungen ist die der 20-jährigen Katharina , die zugleich die erste Darstellung einer Afrikanerin sein soll. Aber auch reiche Gönner wurden ver- ewigt – wie der in einem Ölgemälde von 1521 dargestellte Danziger Kaufmann Bernhard von Reesen. Dürer selbst erhielt acht Gulden für das Bild, Agnes Dürer 1 Krone (1 Gulden und 9 Stüber) und die Dienstmagd Susanna einen rheini- schen Gulden. Dass Dürers Porträt- zeichnungen und -bilder mit zum Eindrucksvollsten und Subtilsten gehören, was es in der Geschichte der bildenden Kunst des 16. Jahr- hunderts gibt, ist nicht verwunder- lich, wenn man bedenkt, dass Dürer sich seit einem Italienaufenthalt für Proportionslehre und Physiognomielehre interessierte. Lorenzo Ghiberti und Leonardo da Vinci hatten angefangen, erste Proportionsschemata schriftlich zu fixieren. Dürer sollte – wenn auch erst 1528 posthum erschienen – damit folgen. Die Studien brachten ihn dazu, in den Porträtzeichnungen auf kleinste Nuancen zu achten. Dass sie ihn nicht dazu verführten, das menschliche Antlitz stereotyp darzustellen, sondern individualisiert, ist ein Geschenk. Albrecht Dürer, Bildnis der 20-jährigen Katharina, 1521, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe, Gallerie degli Uffizi, Florenz, © Gabinetto Foto- grafico delle Gallerie degli Uffizi, Florenz Albrecht Dürer, Kopf eines Walrosses, 1521, The British Museum, London, © The Trustees of the British Museum
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