26 | BAD AACHEN 12/22 „ KULTUR Große Gefühle im Glaspalast Da stimmt doch etwas nicht!“ Als Regisseurin Ewa Teilmans mit den Vorbereitungen zu ihrer Operninszenierung begann, Partitur und Text zur Hand nahm, stellte sie besorgt fest, dass Giuseppe Verdis Werk Stiffelio, die Geschichte vom evangelischen Prediger oder Pfarrer, dessen Ehefrau aus Einsamkeit eine außereheliche Beziehung mit seinem Freund hat, dringend Unterstützung bräuchte, bevor es am Sonntag, 11. Dezember, auf die Bühne des Aachener Theaters darf. Die Handlung stammt aus einem 1849 uraufgeführten Schauspiel Le pasteur ou L’Évangile et le foyer von Émile Souvestre und Eugène Bourgeois. Die nahezu unbekannte Oper benötigt verständliche Übertitel, damit das Publikum die Feinheiten versteht. „Ich habe alles noch einmal aus dem Italienischen übersetzt, jeden Satz ergründet, entschlüsselt“, berichtet Ewa Teilmans. „Da bin ich auf Details gestoßen, die bisher übersehen wurden.“ Die Musik als Offenbarung Mit Elan hat die Regisseurin nun der Oper den Schliff gegeben, der sich auf alles auswirkt – von der Personenführung bis zur Psychologie der Charaktere. Von Anfang an eine Offenbarung: die Musik! „Sie erzählt alles, ist reich an Emotionen und Farben“, betont die Regisseurin. Bevor Generalintendant Michael Schmitz-Aufterbeck ihr die Regie angeboten hatte, kannte Ewa Teilmans allenfalls den Werktitel und das unglückliche Bühnenschicksal seit der Uraufführung im November 1850 in Triest. Stiffelio, eine ambitionierte Arbeit des Komponisten nach Luisa Miller (1849) und vor den danach folgenden Supererfolgen Rigoletto, Il trovatore und La traviata, hat sie jedoch von Anfang an interessiert. Der Druck der Zensur Die Oper traf in ihrer Zeit, kurz nach der gescheiterten Revolution von 1848/49, auf enorme Empfindlichkeiten. „Da hat man gar nicht richtig hingeschaut, Religion und Ehebruch, das ging einfach nicht“, skizziert Ewa Teilmans das damals gesellschaftlich aufgeheizte Klima und eine Zensur, die das Werk bis zur Unkenntlichkeit entstellte. Ewa Teilmans will Stiffelio aus den düsteren Kirchenmauern der Vorgängerinszenierungen in das Funkeln gläserner Wände holen. „Wo jeder jeden andauernd beobachtet“, geht ihr Ansatz auf eine Geschichte ein, die – befreit von Verständigungsfehlern – „glasklar“ ist: Ein Mann, der als gottgefällig gefeiert wird, der höchste moralische Ansprüche hat und Charisma ausstrahlt, muss erleben, wie hilflos er Gefühlen wie Wut, Rache und Zorn ausgeliefert ist, sobald es um sein Ego geht. Die Zerrissenheit des Titelhelden gegenüber der Entwicklung der weiblichen Hauptfigur Lina hatte es Verdi angetan. Für Ewa Teilmans „Stiffelio“ ist eine eher unbekannte Kostbarkeit von Giuseppe Verdi, auf deren Entdeckung man sich freuen darf, wie Sabine Rother für BAD AACHEN schon vorab herausgefunden hat. Schwierige Liebe: Stiffelio (Soon-Wook Ka) und Lina (Larisa Akbari). Foto: Wil van Iersel
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