Musik- und Theaterregie an der Hanns-Eisler-Musikhochschule Berlin bildete ihre beiden großen Leidenschaften perfekt ab. Das sieht nach geplanter Karriere aus, alles hat wunderbar funktioniert. Das täusche, sagt sie. „Das ist überhaupt keine klassische Karriere. Da hätte ich nicht den Abzweig genommen, für Kinder und Jugendliche Oper zu machen. Das ist eher eine reine nicht-klassische Karriere.“ Damit trifft sie nun exakt den Zeitgeist in der Theater- szene. Auch in Aachen ist es en vogue. Ihr erster Spielplan dokumentiert das ohne Wenn und Aber. Menschen mit ihrer Erfahrung sind gefragt, wenn es darum geht, junges Publikum an das Theater zu binden. „Der erste Kontakt muss gut und qualitativ hochwertig sein, darum geht es. Kinder und Jugendliche verstehen sofort, wann etwas gut und wann etwas schlecht ist. Man muss junges Zielpublikum genauso ernst nehmen.“ Mittendrin in der Stadtgesellschaft Ihre Expertise ist die Vermittlung. Deshalb steht dieser Anspruch im Programmheft nicht irgendwo am Schluss, sondern ganz vorn. Angebote für Familien, für Schulen, für Gruppen aller Altersstufen. Das könne man in Aachen wunderbar in verschiedenen Formaten realisieren. Sie kooperiert mit Schulen und Hochschulen. Am Morgen war sie noch in der Schule am Fischmarkt. Sie ist unterwegs, rollt den Teppich des Gesprächs aus, sie und ihr Theater sind mittendrin in der Stadtgesellschaft. „Vernetzung ist ganz wichtig. Wenn man miteinander kooperiert, entstehen tolle Synergien.“ Sie hat ihre erste Spielzeit mit einer Frage überschrieben. Wer ist Europa? – Frau Tzavara, wie beantworten Sie die Frage? Europa ist für sie der Ort vieler Privilegien. „Wenn wir die nicht schätzen und pflegen, weil wir sie gar nicht als Privilegien begreifen und sie mit anderen Ländern nicht vergleichen können, dann kann man das nicht sehr lange genießen.“ Da könne Theater Empathie für Europa aufbauen. „Wir wollen zum Beispiel jungen Menschen auch sagen: Fühlt euch ein in die Menschen, die diese Privilegien nicht haben.“ Ihre Antwort auf die Frage, wer Europa sei, fällt auch sehr persönlich aus. „Meine Mutter ist Griechin, mein Vater Deutscher. Ich durfte das Privileg genießen, zwei Kulturen, zwei Welten kennenzulernen. Ein riesiges Geschenk!“ Das Leitmotiv Europa war ihre Idee, weil es sich in Aachen geradezu aufdränge. „Es gibt keinen besseren Ort.“ Die Oberbürgermeisterin dieser Stadt, Sibylle Keupen, hat euphorisch von dem neuen „frauengeführten Theater“ geschwärmt. Das ist nicht Tzavaras Thema. „Ich habe das nie geschlechtsspezifisch betrachtet.“ Gendern steht unterdessen bei ihr hoch im Kurs. „Das spielt für junge Menschen eine wesentliche Rolle, weil sie anders sozialisiert werden. Das geht sie was an. Sie möchten nicht mehr geschlechtsspezifisch eingeteilt werden.“ Merken, dass es anders ist! Der Spielplan trägt ihre Handschrift. „Eine ganz gute Mischung von unterschiedlichen Lesarten“, sagt sie selbstreflektierend. Was und wer beeinflusst sie bei der Auswahl, die am Ende ein Gesamtkunstwerk sein soll? „Ich gehe viel ins Theater, gucke mir viel an, habe mit vielen schon gearbeitet, habe deren Werke gesehen, deren Regie-Handschriften kennengelernt, ich schaue mir an, was die Stoffe hergeben, wie sie zu denen, die das künstlerisch gestalten sollen, passen. Auch aus dem Team mit Christopher Ward, Kerstin Grübmeyer, Isabelle Becker und den anderen Dramaturg*innen, mit denen ich eng im Austausch bin, gibt es enorm fruchtbaren Input.“ Nein, das Rad könne man nicht neu erfinden. Aber: „Man wird schon merken, dass es anders ist, weil viele Regisseur*innen auch noch nie hier in Aachen waren.“ In Hamburg geboren, in Berlin studiert, war sie in Salzburg, hat in Köln und Stuttgart gearbeitet, jetzt in Aachen. Ist das der Sprung in die Provinz? „Aachen ist keine Provinzstadt. Ich gehe durch die Stadt und spüre ein internationales Flair, das ist nicht provinziell, egal wie groß die Stadt ist.“ Und deshalb fände sie es sehr schön, wenn auch die „überregionale Außenwelt mitkriegt, was hier in Aachen stattfindet“. KULTUR ZUR PERSON Elena Tzavara, 1977 in Hamburg geboren, studierte Musik- und Theaterregie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Sie war Regieassistentin, Produktionsleiterin und Abendspielleiterin unter anderem bei der Ruhrtriennale unter der Intendanz von Gérard Mortier, den Salzburger Festspielen und an der Deutschen Staatsoper Unter den Linden unter der Intendanz von Peter Mussbach. Sie leitete die Kinderoper Köln und wurde ab 2014 Leiterin der überregionalen Festivals Musik und Literatur in den Häusern der Stadt in Köln, Bonn, Hamburg und München. Seit 2017 ist sie Künstlerische Leiterin des JOiN (Junge Oper im Nord) in Stuttgart und Leiterin des Internationalen Opernstudios der Staatsoper Stuttgart. Tzavara hat sich im Auswahlverfahren gegen 58 weitere Bewerberinnen und Bewerber durchgesetzt. Sie ist verheiratet und hat einen 15-jährigen Sohn. Foto: B. Mathieu DREI FRAGEN AN ELENA TZAVARA BAD AACHEN: Ist Kultur politisch relevant? Elena Tzavara: „Ja, weil sie auch eine neue Perspektive sein kann.“ BAD AACHEN: Wie gehen Sie mit Politik um, desillusioniert oder offensiv? Tzavara: „Ich hoffe offensiv. Ich bin in Köln zu den Parteien gegangen und habe richtig Klinkenputzen gelernt. Es macht mir Spaß, Leute zu überzeugen.“ BAD AACHEN: Wie anders muss Theater werden? Tzavara: „Es muss zugänglicher werden – für alle, egal, wer man ist.“ Privat liest sie theoretische und philosophische Bücher („bei anderen schlafe ich sofort ein“), hört weniger klassische Musik, „eher Jazz- oder Popularmusik – um ehrlich zu sein“. Und: „Ich höre nicht sehr viel. Zu Hause, da genieße ich auch gern die Stille.“ Also dann – danke für das anregende Gespräch! www.theateraachen.de 09/23 BAD AACHEN | 5
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