Enges Tal und weite Welt

Enges Tal und weite Welt Franz-Josef Verscharen

Impressum Herausgeber: FRANZ-JOSEF VERSCHAREN, Enges Tal und weite Welt. Geschichte der Gemeinde Kirchsahr und des Sahrbachtals in der Eifel. 2. Aufl. 2021 Vertrieb: Eigenvertrieb durch den Herausgeber F.-J. Verscharen, Bitzenberg 16, 53505 Kirchsahr fjv@kirchsahr.de ISBN: 978-3-944976-28-0 Verlag: DCM Druck Center Meckenheim Herstellung: DCM Druck Center Meckenheim GmbH Werner-von-Siemens-Straße 13 53340 Meckenheim © Copyright 2020 Die vorliegende Arbeit ist ein wissenschaftlicher Beitrag zur Landesgeschichte und soll der öffentlichen Bildung dienen; sie verfolgt keinerlei kommerzielle Zwecke. Der Autor hat die Urheberrechte der verwendeten Grafiken und Texte beachtet. Sollten sich dennoch ungekennzeichnete, aber durch fremdes Copyright geschützte Grafiken oder Texte finden, so konnte das Copyright vom Autor nicht festgestellt werden. Im Falle einer solchen unbeabsichtigten Copyright-Verletzung wird das entsprechende Objekt nach Benachrichtigung sofort aus der Publikation entfernt bzw. mit dem entsprechenden Copyright kenntlich gemacht. Das Copyright für Fotos und Grafiken verbleibt bei den genannten Autoren. Alle Rechte der Vervielfältigung oder der Übersetzung bleiben dem Autor vorbehalten. Die Verwendung von Textteilen oder von Abbildungen zu nicht gewerblichen Zwecken ist bei Nennung von Autor und Fundstelle im Sinne wissenschaftlicher Zitierweise zulässig. Hierbei sind Urheber- und Verwertungsrechte Dritter bindend. Aus dem Internet übernommene Elemente wurden vor Drucklegung auf ihre Richtigkeit geprüft. Autor und Verlag haben keinerlei Einfluss auf spätere Veränderungen. Dies schließt eine spätere Haftung der an der Veröffentlichung Beteiligten aus. Kontakt: Email: fjv@kirchsahr.de F.-J. Verscharen, Bitzenberg 16, 53505 Kirchsahr

3 Enges Tal und weite Welt Geschichte der Gemeinde Kirchsahr und des Sahrbachtals in der Eifel Erläuterung zum Einband Der Einband zeigt die Vorderseite des „Goldenen Buchs“ von 1104/1106, in dem sich die Abschrift der Urkunde mit der Ersterwähnung Kirchsahrs befindet. Sie zeigt Christus, der als Patron des Klosters aus den Händen des Frankenkönigs Pippin d. J. die durch ein Modell des Klosters symbolisierte Stiftung entgegennimmt und von dessen Sohn Karl mit dem Goldenen Buch selbst zahlreiche Stiftungen erhält. Vorderseite: Die Malerin Cornelia Harss kombinierte in ihrem Ölbild „Sahrbachtalchronik“ die unberührte Bachlandschaft. Erst auf den zweiten Blick erschließen sich in der Strömung des Sahrbaches die historischen Schätze des Tals. Römische und keltische Gebrauchsgegenstände, sowie die Türkenmadonna und der großartige gotische Flügelaltar der Pfarrkirche St. Martin in Kirchsahr gleiten aus der Vergangenheit kommend auf den Betrachter zu. Arno Müskens hat mit seiner Grafik „Werben für ein schönes Tal“ die landschaftliche Vielfalt, die Kunst- und Kulturdenkmäler sowie das Freizeitangebot des Sahrbachtals eingefangen. 2010 haben auf Einladung des Freundeskreis Sahrbachtal e. V. beide Künstler das Sahrbachtal besucht, entdeckt und ihre Eindrücke künstlerisch umgesetzt. Rückseite: Andreas Schmickler entwarf 2006 die Grafik des Sahrbachtals, die seither als Logo des Freundeskreises e.V. verwendet wird. Zum Autor Dr. Franz-Josef Verscharen (geb. 7.6. 1949) 1972 bis 1978 Studium der Geschichte und Sozialwissenschaften in Marburg mit anschließender Tätigkeit im Schuldienst. 1985 Promotion zum Dr. phil. mit einer Arbeit zur Sozialgeschichte der Stadt Marburg im Mittelalter. Ausbildung zum höheren Archivdienst. Von 1989 bis 2012 im Stadtarchiv Köln tätig. In dieser Zeit veröffentlichte er eine Reihe archivischer Fachbeiträge sowie zahlreiche Aufsätze zur Verfassungs-, Sozial- und Kunstgeschichte Kölns im Mittelalter und der Neuzeit. Er lebt in Bonn und verbringt seit 2000 die Freizeit hauptsächlich in seinem Ferienhaus in der Eifel. Seit 2003 widmet er sich der Geschichte des Sahrbachtals. Er ist Mitglied des Vorstands des „Freundeskreis Sahrbachtal“ e. V.

4 Vorwort Alles begann im Herbst 2003 mit der Gründung des „Freundeskreis Sahrbachtal“ und der Realisierung des seit 1985 geplanten Wanderwegs durch das Sahrbachtal. Inzwischen ist der Weg zentrale Achse des Wanderparadieses Sahrbachtal geworden. Heute erschließt ein Wegenetz von 75 km mit 22 Informationstafeln, Raststellen, Brücken und Stegen das attraktive Tal und seine Höhen. Mit den ersten Berichten und der Herausgabe von Broschüren wurde zunehmend das Interesse an der Geschichte des Sahrbachtals geweckt und schließlich der Wunsch nach einer Ortsgeschichte deutlich. Viele Freunde, Kollegen und Bekannte haben mich von Beginn an mit Hinweisen, Unterlagen und der Bereitstellung von Bildmaterial unterstützt und damit am Entstehen dieses Buches mitgewirkt. Freunden und den Kollegen des Historischen Archivs der Stadt Köln, der erzbischöflichen Archive in Köln und Trier, des Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchivs Düsseldorf, des Landeshauptarchivs Koblenz, des Kreisarchivs Ahrweiler und des Stadtarchivs Münstereifel danke ich für die Bereitstellung von Archivalien. Eine große Hilfe war die erfahrene Lektorin Regina Rademächers aus Kirchsahr-Winnen. Der Freundeskreis Sahrbachtal hat die Arbeit in besonderer Weise mit ideellen und materiellen Hilfen gefördert.

5 Inhalt Vorwort ................................................................................................................ 4 Einleitung ............................................................................................................ 11 „sein in solchen rauwen Ortt nuhr allein 4 oder 5 arme Baurs-Leuth“............... 11 Die Zukunft des Sahrbachtals........................................................................... 18 Die Anfänge ........................................................................................................ 20 Vor- und Frühgeschichte................................................................................... 20 Zeittafel zur Vor- und Frühgeschichte der nordöstlichen Eifel........................... 20 Kelten – Germanen........................................................................................... 21 Drei Jahrhunderte römische Herrschaft im Rheinland ................................... 25 Römische Spuren im Sahrbachtal .................................................................... 25 Die Tabula Peuteringiana (Peutinger-Tafel)...................................................... 30 Eine römische Hofanlage bei Burgsahr............................................................. 31 Funde aus dem römischen Gräberfeld oberhalb der Hofstelle Entenbach........ 35 Der Hochthürmen ............................................................................................. 36 Die Wüstung Engelhäuser Hof.......................................................................... 39 Die Wüstungen Eitgenbach und Nutzenbach ................................................... 40 Das frühe und hohe Mittelalter .......................................................................... 41 Was ist das Mittelalter?..................................................................................... 41 Die fränkische Zeit ............................................................................................ 43 Die Karolinger und ihr Hauskloster Prüm.......................................................... 45 Genealogie der Karolinger ................................................................................ 46 Die Anfänge von Kirchsahr ............................................................................... 49 Die erste urkundliche Erwähnung von Kirchsahr .............................................. 49 Leben in einer unsicheren Zeit.......................................................................... 51 Freiheit und Unfreiheit....................................................................................... 55 Das Kloster Prüm als Grundherr im Sahrbachtal .............................................. 57 Kirchsahr und das Stift Münstereifel ................................................................ 58 Das Stift Münstereifel........................................................................................ 58 Das Stift als neuer Grundherr im Sahrbachtal .................................................. 61 Der Niedergang des Klosters Prüm .................................................................. 61 Eine alte Frage unter Lokalhistorikern: Obersahr und Untersahr...................... 62 Die mittelalterliche Grundherrschaft ................................................................ 63 Land gegen Dienste.......................................................................................... 63 Landwirtschaft im Mittelalter ............................................................................. 64 Bäuerlicher Alltag im Mittelalter ........................................................................ 68 Wandel der älteren Grundherrschaft................................................................. 72 Die soziale und rechtliche Stellung der Bauern ................................................ 74 Die Hofgerichte regeln das dörfliche Leben ...................................................... 77

6 Die Krise der Landwirtschaft im ausgehenden Mittelalter.................................. 81 Leben in alter Zeit ............................................................................................... 83 Die Bevölkerung ................................................................................................ 83 Das mittelalterliche Dorf .................................................................................... 84 Wohnen auf dem Land ...................................................................................... 85 Ernährung auf dem Land................................................................................... 87 Gesundheit und Krankheit................................................................................. 89 Die Pfarre Kirchsahr ........................................................................................... 94 Die Anfänge von Pfarre und Kirche ................................................................... 94 Wegekapellen und Heiligenhäuschen im Sahrbachtal ...................................... 95 Die Inkorporation der Pfarre Kirchsahr in das Stift Münstereifel........................ 97 Pfarre und Pfarrbezirk ....................................................................................... 97 Pfarr- und Gemeindemitglieder seit dem 19. Jahrhundert................................. 98 Pfarrherr, Pfarrer, Pastor, Pfarrrektor ................................................................ 99 Die Pfarrer von Kirchsahr .................................................................................. 99 Kirchlich-religiöses Leben in Kirchsahr.............................................................. 104 Stiftungen .......................................................................................................... 106 Visitationsprotokolle berichten über das Leben in der Pfarre ............................ 107 Die Pfarrkirche St. Martin ................................................................................... 108 Das Kirchengebäude......................................................................................... 108 Die Innenausstattung der Pfarrkirche ................................................................ 110 Die Sakristei ...................................................................................................... 118 Das Pfarrhaus ................................................................................................... 118 Der Friedhof ...................................................................................................... 118 Die Schule ......................................................................................................... 119 Die Lehrer ......................................................................................................... 120 Die landwirtschaftliche Fortbildungsschule........................................................ 122 Die Kölner Erzbischöfe werden Territorialherren ............................................ 123 Grundbesitz bringt Herrschaft ........................................................................... 123 Die Lehnspyramide ........................................................................................... 124 Rechtsprechung und Verwaltung im Mittelalter ................................................. 127 Auf- und Ausbau der kurkölnischen Territorialherrschaft................................... 128 Der Aufstieg der Grafen von Are ....................................................................... 130 Das Sahrbachtal als Teil des kurkölnischen Amts Altenahr .............................. 133 Die Verwaltung des Amts .................................................................................. 134 Von der Landesherrschaft zur Landeshoheit ................................................... 140 Die Herausbildung der Territorialstaaten........................................................... 140 Die Erzbischöfe bekommen Konkurrenz ........................................................... 141 Rechtsprechung im Erzstift Köln ...................................................................... 143

7 Die weltlichen Gerichte ..................................................................................... 143 Die geistlichen Gerichte .................................................................................... 147 Die landesherrliche Verwaltung ........................................................................ 148 Mit einem Hofstaat ist kein Staat zu machen .................................................... 148 Wenn´s ums Geld geht: Einkünfte – Steuern – Lasten ..................................... 149 Die Landstände – der Adel formiert sich ........................................................... 151 Die kurkölnischen Unterherrschaften Kirchsahr und Burgsahr .................... 156 Von der Grundherrschaft zur Herrschaft ........................................................... 156 Die Untergerichte .............................................................................................. 157 Die kurkölnische Unterherrschaft Kirchsahr...................................................... 159 Das kurkölnische Burglehen und die Unterherrschaft Burgsahr ....................... 160 Burghof und Burgmühle .................................................................................... 164 Das Burghaus von Burgsahr............................................................................. 167 Das Burglehen Uprath im Besitz der Familien von Gymnich und von Blankart. 169 Die Ortsteile Binzenbach, Hürnig und Winnen ................................................ 173 Binzenbach ....................................................................................................... 173 Hürnig ............................................................................................................... 174 Winnen.............................................................................................................. 175 Die Reformation .................................................................................................. 176 Das Erzbistum Köln in der frühen Reformationszeit ......................................... 177 Der Reformationsversuch des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied ............ 182 Die Reformation im Sahrbachtal? ..................................................................... 184 Der Reformationsversuch des Kölner Erzbischofs Gebhard Truchseß von Waldburg in den Jahren 1577 bis 1588 ............................................................ 190 Eine Welt gerät aus den Fugen ......................................................................... 193 Kräfte und Mächte in Europa ............................................................................ 193 Die Wetterkarte der Geschichte........................................................................ 193 Hexen ............................................................................................................... 196 Zwei Jahrhunderte Krieg ................................................................................... 210 Erste kriegerische Auseinandersetzungen........................................................ 210 Krieg in der Eifel ............................................................................................... 211 Der Dreißigjährige Krieg ................................................................................... 212 Die Reunionskriege (1672 – 1697) ................................................................... 214 Der Spanische Erbfolgekrieg (1701 – 1714) ..................................................... 215 Neuordnung der Kräfteverhältnisse in Europa ................................................ 219 Der Polnische Thronfolgestreit (1733 – 1735) und der Österreichische Erbfolgekrieg (1740 – 1748) ............................................................................. 219 Der Siebenjährige Krieg (1756 – 1763)............................................................. 219 Leben zwischen Krieg und Frieden .................................................................. 220 Kurköln – Der politische Zwerg am Rhein......................................................... 220

8 Kurkölnische Soldaten im 18. und 19. Jahrhundert ........................................... 222 Arme Bauern – Reiches Land ........................................................................... 222 Neue Steuern – höhere Steuern ....................................................................... 222 Die Höfe der Grundherrschaften Kirchsahr und Burgsahr 1587 – 1660............ 223 Der Stiftshof ...................................................................................................... 230 Man kann nur einem Herrn dienen .................................................................... 241 Alte und neue Wirtschaftsformen auf dem Land ............................................. 245 Man sollte sehen und weinen! ........................................................................... 245 Waldwirtschaft ................................................................................................... 246 Rottwirtschaft und Schiffelwirtschaft.................................................................. 247 Köhlerei ............................................................................................................. 250 Der Bau eines Meilers ....................................................................................... 251 Der Betrieb eines Meilers .................................................................................. 252 Meilerplätze im Sahrbachtal .............................................................................. 253 Loheschälen ...................................................................................................... 254 Die Folgen des Raubbaus................................................................................. 255 Mühlen .............................................................................................................. 257 Die Holzemer Mühle muss dem „Radioteleskop von Binzenbach“ weichen...... 260 Bergbau und Metallerzeugung .......................................................................... 262 „…Es gibt auch herliche Ertz-, Silber-, Bley- und Eisengruben…“ .................... 262 Die ersten Versuche.......................................................................................... 262 Die Geologie des Sahrbachtals ......................................................................... 263 Die Grube Silberbusch ...................................................................................... 265 Die ersten Bergbauunternehmer ....................................................................... 266 Die Bleischmelze in Binzenbach ....................................................................... 268 Das Grubenfeld Glücksthal ............................................................................... 269 Das Zinkbergwerk Hürnigskopf ......................................................................... 272 Das Grubenfeld Sahrsegen (Saarsegen) .......................................................... 275 Das Grubenfeld Hochthürmen........................................................................... 276 Bergbau in der Nachbarschaft ........................................................................... 279 Die Grube Glückstal .......................................................................................... 279 Historische Bergwerke in den Grubenfeldern des Sahrbachtals ....................... 284 Zwanzig Jahre französische Herrschaft ........................................................... 285 Das Rheinland wird französisch ........................................................................ 285 Neuordnung von Verwaltung und Rechtsprechung........................................... 288 Banden in der Eifel ............................................................................................ 292 Ein Jahrtausend geht zu Ende .......................................................................... 293 Der Deutsche Kaiser geht ................................................................................. 294 Das Ende der „Fremdherrschaft ........................................................................ 296

9 Das Sahrbachtal im 19. Jahrhundert ................................................................ 298 Die Preußen kommen ....................................................................................... 298 Der Landkreis Ahrweiler.................................................................................... 300 Die Landräte des Kreises Ahrweiler.................................................................. 301 Ortschaften und Wohnplätze des Sahrbachtals und seiner Umgebung............ 304 Das Rheinland zwischen Frankreich und Preußen ......................................... 305 Was ist nach zwanzig Jahren geblieben? ......................................................... 305 Neue Herren – altes Recht ............................................................................... 306 Welche Gemeindeverfassung soll gelten?........................................................ 306 Die Gemeindeordnung für die Rheinprovinz vom 23. Juli 1845 ........................ 308 Die Revolution von 1848................................................................................... 311 Die Gemeindeordnung für den Preußischen Staat vom 11. März 1850............ 315 Das Gemeindeverfassungsgesetz und die Rheinische Städteordnung vom 15. Mai 1856 ..................................................................................................... 316 Preußisch Sibirien – Die Not nimmt kein Ende ................................................ 317 Nach dem Krieg kommt der Hunger ................................................................. 317 Auswanderung.................................................................................................. 321 Der Staat handelt .............................................................................................. 324 Neue Straßen braucht das Land....................................................................... 326 Dem Fortschritt wird Dampf gemacht ............................................................... 328 Der Fortschritt bleibt eine Schnecke ................................................................. 329 Preußen ist nicht genug..................................................................................... 330 Auf dem Weg zur Großmacht ........................................................................... 330 Der Deutsche Krieg von 1866........................................................................... 330 Die Eifel bleibt das Armenhaus Preußens ........................................................ 332 Der Deutsch-Französische Krieg von 1870 – 1871 .......................................... 333 Deutschland wird Großmacht ........................................................................... 333 Kirchsahr um 1905............................................................................................ 335 Der Erste Weltkrieg und seine Folgen .............................................................. 337 Ein Krieg wird gemacht ..................................................................................... 337 Tote und Vermisste des Ersten Weltkriegs der Gemeinde und Pfarrgemeinde Kirchsahr........................................................................................................... 340 Das Ende der Monarchie .................................................................................. 342 Demokratie ohne Demokraten .......................................................................... 342 Die Goldenen Zwanziger Jahre ........................................................................ 344 Kirchsahr im III. Reich ........................................................................................ 345 Führerprinzip statt Demokratie.......................................................................... 345 Die Mitglieder des Gemeinderats 1931-1944.................................................... 348 Der Zweite Weltkrieg .......................................................................................... 349 Einquartierungen, Einberufungen, Tote ............................................................ 349

10 Tote und Vermisste des Zweiten Weltkriegs in der Gemeinde Kirchsahr.......... 349 Nach dem Krieg .................................................................................................. 350 Demokratischer Neubeginn ............................................................................... 351 Die Bürgermeister der Ortsgemeinde Kirchsahr seit 1949 ................................ 352 Mitglieder des Gemeinderats 1949-1958 .......................................................... 353 Die Mitglieder des Gemeinderats 1974 bis 2020............................................... 354 Die Gemeindeordnung Rheinland-Pfalz ............................................................ 356 Die Verbandsgemeinde..................................................................................... 357 Die Bürgermeister und Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Altenahr........ 358 Orte und historische Stätten in der Nachbarschaft ......................................... 359 Krälingen ........................................................................................................... 359 Kreuzberg.......................................................................................................... 359 Die Eigentümer der Burg Kreuzberg ................................................................. 361 Plittersdorf ......................................................................................................... 363 Vellen ................................................................................................................ 365 Vischel............................................................................................................... 366 Tungenburg ....................................................................................................... 367 Springer Mühle .................................................................................................. 368 Springhof ........................................................................................................... 368 Wensburg/Wensberg......................................................................................... 368 Die Eigentümer der Wensburg .......................................................................... 370 Orte, Kunstdenkmäler, Wüstungen im Sahrbachtal und seiner Umgebung und ihre Lage ........................................................................................................... 373 Münzen, Maße und Gewichte ............................................................................. 374 Währungen und Münzen ................................................................................... 374 Längenmaße ..................................................................................................... 375 Flächenmaße .................................................................................................... 375 Hohlmaße, flüssig (Wein) .................................................................................. 376 Hohlmaße, trocken (Getreide) ........................................................................... 377 Historische Fachbegriffe .................................................................................... 378 Abkürzungen ....................................................................................................... 395 Quellen ................................................................................................................. 396 Ungedruckte Quellen......................................................................................... 396 Private Nachlässe und Sammlungen ................................................................ 397 Gedruckte Quellen ............................................................................................ 398 Karten und Pläne:.............................................................................................. 400 Literatur ............................................................................................................... 401 Anmerkungen ...................................................................................................... 415

11 Einleitung „sein in solchen rauwen Ortt nuhr allein 4 oder 5 arme Baurs-Leuth“ So beschrieb der Dekan des Stifts Münstereifel 1602 in einer Eingabe an die landesherrliche Regierung in Bonn die Zustände im Sahrbachtal.1 Die oberste Verwaltungsbehörde des Erzstifts Köln, der kurfürstliche Hofrat in Bonn, hatte wenige Jahre zuvor eine Landesvermessung angeordnet, die als Grundlage für eine neue, natürlich höhere Steuer dienen sollte. Als sechs Jahrzehnte später eine zweite Steuererhöhung drohte, baten die Kirchsahrer Bauern um Belassung des alten Steuersatzes, denn es erschien ihnen „schier unmoglich von solchen Gütern die Lebensmittel undt große Auslagen zu erwerben.“2 Unterstützung fand die Gemeinde beim Dekan, der die Ländereien als „trucken und zwischen Holzschnittkarte der Eifel aus der zweiten, 1550 erschienenen Ausgabe der Cosmographia von Sebastian Münster. Das Original stammt von Simon Richwin. Die gesüdete Karte nennt links neben dem Schriftzug „Eyfalia“ die Orte und Burgen Saffenburg (Haffenburgum), Remagen (Rinmagen), Sinzig (Sinsichium), Kerpen, Altenahr (Altenarium), Aremberg (Arburg), darüber die Grafschaft Zwirneburg (Zwirnebergum comitatus), Kempenich (Kempen), Daun (Dunum), Kasselburg (Castelburg), rechts davon Lissingen (Lesingum), Kronenburg (Cronenburg), Schmittheim (Smyddum) und darunter Dollendorf, die Grafschaft Blankenheim (Blanckenheimium comitatus) und Hillesheim (Hildesheimium). Die Orte sind nur unzureichend lokalisiert. Nur die Darstellung der Grenzflüsse (Rhein, Mosel und Maas) und die der Eifelflüsse Ahr, Kyll, Lieser und Rur entspricht annähernd der tatsächlichen topographischen Lage. S. Münster, Cosmographei, oder Beschreibung aller Länder..., Buch 3, Von dem Teütschen Land, S. 604-606

12 Busch und Heiden gelegen ... zumahl schlecht und wienigh zu genießen“ charakterisierte. Die Einschätzung der Einwohner deckt sich mit älteren und späteren Berichten, die ein bis in unsere Zeit überkommenes Bild der Eifel als karge, lebensfeindliche Region entwerfen. Der Baseler Gelehrte Sebastian Münster schrieb in seiner seit 1544 in vielen Auflagen erschienenen Cosmographia3: „In der rechten Eyfeln ist ein ruuher Boden von Wäldern, und do wenig mere dann Habern wechst ... Die Eyffler Hantierung ist fast mit Rindvieh, Honig und Wachs ... Diß Land ist von Natur ongeschlacht, rauch von Bergen und Tälern, kalt und mit ongestürmen Regen vil überschüt.“ Über die Bevölkerung wusste er zu berichten: „Die Eynwohner sind gar arbeitsam, haben sinnreiche Köpff wo sie geübet werden, aber sie hangen an dem Ackerbaw und warten des Viehts“ Münster hat die Eifel selbst aber gar nicht bereist, sondern sich auf einen Brief seines Mitarbeiters Simon Richwin gestützt. Der Leipziger Buchhändler und Verleger Johann Heinrich Zedler (1706 – 1763) übernahm 1734 im 8. Band seines Großen vollständigen Universal-Lexicons aller Wissenschaften und Künste4 die Ausführungen Sebastian Münsters: „Die Nahrung dieses Landes bestehet in Rindvieh, Honig und Wachs.“ Selbst im Brockhaus von 1892 heißt es noch: „Das ... Hochland ist einförmig, rauh und unfruchtbar“ Seit dem frühen 19. Jahrhundert sprach man von der Eifel als dem Preußischen Sibirien. Der Vergleich geht auf den ersten Bürgermeister von Kelberg, Cornelius Metten, zurück. Er schrieb 1819 in einer Beschreibung seines Amtbezirks über die Gemeinde Nürburg: „Diese ganze Gegend ist die schlechteste der Bürgermeisterei und gleicht dem schlechtesten Teile von Sibirien.“5 Ein Jahrhundert vor ihm Titelblatt zum ersten Band von Zedlers Universal-Lexicon..., 1732. Sebastian Münster, geb. am 20.1. 1488 in Nieder-Ingelheim, gest. am 26. Mai 1552 in Basel, 1524 Professor für Hebräisch in Heidelberg, seit 1529 in Basel, Reisen nach Frankreich und in die Schweiz, nach Schwaben und Bayern, 1544 erste Ausgabe der Cosmographia. L. Bechstein (Hrsg.), Zweihundert Bildnisse und Lebensabrisse berühmter deutscher Männer, Leipzig 1870.

13 hatte der Priester, Rechtsgelehrte und Geschichtsschreiber Johann Friedrich Schannat in der Einleitung seiner „Eiflia illustrata“ 6 einen ganz anderen Vergleich angestellt: „Der ganze Landstrich ... ist nicht von gleicher Beschaffenheit. Man könnte die Eifel daher, so wie Arabien, in die glückliche und die wüste Eifel einteilen.“ An den Ufern der sie begrenzenden Flüsse Rhein, Mosel und Roer herrschten milde Temperaturen, und fruchtbare Böden brachten gute Erträge. Das Innere der Eifel charakterisierte er dagegen als „mit dichten Waldungen bedeckt ... größtentheils nur kahle und magere Hügel und Berge, deren Oberfläche die Einwohner dünn abstechen und in Asche verwandeln, um solche als Dünngungsmittel zu verwenden ... Der Sommer ist in diesen Gegenden mehr trocken als heiß, der Winter lange dauernd und streng.“ Von Bonn, Köln und Düsseldorf aus entdeckten Gelehrte und Künstler im frühen 19. Jahrhundert die Eifel. Die sich auch in Deutschland abzeichnende Industrielle Revolution hatte zunächst den Blick der Geologen und Mineralogen auf die Erzlager der Eifel gerichtet und dabei die erdgeschichtliche Vielfalt dieser Landschaft entdeckt. Schon 1795 fand der preußische Naturforscher und Geograph Alexander von Humboldt auf geologischen Reisen seinen Weg von Berlin auch in die Eifel. Einige Jahre später folgte ihm der Begründer der deutschen Geologie, Leopold von Buch. Vom Oberbergamt Bonn kamen der Geheime Bergrat und Professor der Mineralogie und Geologie an der dort neu gegründeten Universität, Johann Jacob Nöggerath (1788 – 1877), sowie der Professor für Bergbaukunde an der Universität Berlin und Johann Friedrich Schannat, geb. am 23.7. 1683 in Luxemburg, gest. am 6.3. 1739 in Heidelberg, Priester, Rechtsgelehrter und Geschichtsschreiber (seit 1722 im Hochstift Fulda, seit 1729 im Erzbistum Mainz), der Erzbischof Johann Moritz Gustav von Manderscheid-Blankenheim holte ihn 1734 an seinen Hof in Prag und beauftragte ihn mit der Geschichte der Grafen von Manderscheid. Hier entstand auch das Manuskript zur „Eiflia illustrata“, die der erste Landrat des Kreises Prüm, Georg Bärsch, zwischen 1824 und 1855 in 3 Bänden herausgab. Friedrich Wilhelm Alexander von Humboldt, geb. am 14.9. 1769 in Berlin, gest. am 6.5. 1859 in Berlin, Naturforscher von Weltgeltung und Mitbegründer der modernen Geographie Gemälde von Joseph Karl Stieler (1843) http://www.avhumboldt.de/?author=12 Cornelius Metten, 1807 – 1809 Bürgermeister der Mairie Barweiler, 1809 – 1812 Kantonsvorsteher im Kanton Ulmen, 1812 – 1814 Bürgermeister (Maire) von Kelberg, 16. 3. 1814 – 27. 7. 1838 Bürgermeister der preußischen Amtsbürgermeisterei im Kreis Adenau.

14 seit 1841 als Oberberghauptmann in Bonn tätige Ernst Heinrich Carl Dechen (1800 – 1889). Der Trierer Gymnasiallehrer Johann Steininger (1794 – 1878) machte sich um den wissenschaftlichen Austausch verdient. Ihm schrieb Leopold von Buch 1820: „Die Eifel hat ihresgleichen in der Welt nicht, sie wird auch ihrer Seits Führer und Lehrer werden manche andere Gegend zu begreifen und ihre Kenntniss kann gar nicht umgangen werden, wenn man eine klare Ansicht der vulkanischen Erscheinungen auf Kontinenten erhalten will.“7 Das neue Zeitalter zeigte in den rheinischen Städten bereits die ersten tiefgreifenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Allmählich veränderte die Landschaft ihr Gesicht und die ersten negativen Auswirkungen auf Natur und Umwelt deuteten sich an. In der Eifel, und hier insbesondere an der mittleren und oberen Ahr, trafen sie auf eine wilde, bizarre, nahezu unberührte Natur. In deren Einsamkeit hofften sie, innere Einkehr zu finden, oder gaben sich angesichts der imposanten Ruinen ehemals so bedeutender Burgen wie Are, Saffenburg, Aremberg, Nürburg und Blankenheim romantischer Schwärmerei hin. Maler fanden seit Jean Nicola Ponsart (1788 – 1870) in die Eifel. Der Zeichenlehrer aus Malmedy gab zwischen 1831 und 1835 eine Folge von 36 Steindrucken mit Landschaftsbildern der Eifel heraus; 1838 erschienen 28 Ansichten des Ahrtals. Karl Friedrich Lessing (1808 – 1880), der 1826 an die Kunstakademie Düsseldorf berufen worden war, entdeckte am Ausgang der Romantik Das Ahrtal um 1953 (Zeichnung von Herbert Noth, geb. 19.3. 1907 in Berlin, gest. am 28.1. 1967 in Günzburg, Architekt, seit 1946 außerordentl., seit 1950 ordentl. Professor für architektonisches Entwerfen und landwirtschaftliches Siedlungswesen an der Hochschule für bildende Künste Berlin) Volker Noth (Hrsg.), Der Bau-Künstler Herbert Noth. Berlin 2009. Christian Leopold Freiherr von Buch, geb. am 26.4. 1774 in Stolpe a. d. Oder, gest. am 4.3. 1853 in Berlin, Geologe. L. Bechstein (Hrsg.), Zweihundert Bildnisse und Lebensabrisse berühmter deutscher Männer, Leipzig 1854.

15 die Eifel für die große Landschaftsmalerei. Zum Eifelmaler schlechthin wurde schließlich Fritz von Wille (1860 – 1941). Seine Gemälde zeigen den bis dahin nur als arm und rückständig bekannten Landstrich in seinen geologischen Besonderheiten und seiner reichen historischen Vergangenheit. Seine Sicht prägt bis heute das Bild der Eifel. Unter den Gelehrten und Schriftstellern sind vor allem Ernst Moritz Arndt, Karl Simrock und Gottfried Kinkel zu nennen. Alle drei waren als Forscher und Lehrer an der Universität Bonn tätig, hatten sich zugleich aber auch als Schriftsteller und Politiker mit liberalem Gedankengut mit den politischen und sozialen Verhältnissen ihrer Zeit auseinandergesetzt. Bei Arndt war es vor allem das Ziel eines einigen Deutschlands, das ihn schon unter Napoleon und später bei den neuen preußischen Herren verdächtig gemacht hatte. Zum ersten Mal musste er 1806 eine gerade übernommene Professur in Greifswald aufgeben und sich vor den anrückenden Franzosen nach Schweden in Sicherheit bringen. 1818 wurde Arndt Professor für Geschichte an der neu gegründeten Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität in Bonn. Schon ein Jahr später trafen ihn die Karlsbader Beschlüsse, mit denen vor allem Preußen und das Habsburgerreich nach der Niederlage Napoleons alle liberalen und nationalen Tendenzen zu unterdrücken versuchten. Als Demagoge verfolgt, verlor er 1826 sein Bonner Professorenamt. Seither war er literarisch tätig. Auf seine Rehabilitation musste er bis 1840 warten. 1848/1849 gehörte er der Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche an. Wanderungen in die Eifel hatten ihn schon in seinen ersten Bonner Jahren regelmäßig an die Ahr geführt. 1844 sind seine Reiseberichte erstmals im Druck erschienen.8 Sie beschreiben den romantischen Zauber des einsamen Berglandes, blicken zurück auf eine bedeutungsvolle Geschichte und schildern den Ernst Moritz Arndt, geb. 26.12. 1769 in Groß Schoritz auf Rügen, gest. 29.1. 1860 in Bonn Stahlstich von H. Gugeler (um 1830) Karl Josef Simrock, geb. 28.8. 1802 in Bonn, gest. 18.7. 1876 in Bonn Porträtfoto, um 1850

16 im Laufe der vergangenen 25 Jahre erlebten Fortschritte. Dem Sahrbachtal hat er sich auf seinen Reisen bei Kreuzberg genähert. Kreuzberg und Altenahr galten ihm als „die wundervollsten Stellen an dem ganzen Strom“. Nur beiläufig spricht er mit verklärendem Blick auf die Zeiten Karls des Großen davon, „wie sehr dieses Land verändert worden ja verschlechtert worden ist.“ Der in Bonn geborene Karl Simrock hatte noch bei Ernst Moritz Arndt studiert. Auch er war später ein Opfer der Demagogenverfolgung geworden. Ein Lobgedicht auf die französische Juli-Revolution hatte ihn 1830 sein Amt als Richter am Kammergericht in Berlin gekostet. Seit 1832 lebte er wieder in Bonn, wirkte als Übersetzer und veröffentlichte unter anderem die altdeutschen Volksbücher, Märchen- und Sprichwörtersammlungen. Ihm verdanken wir die Übersetzung des Nibelungenlieds und die Übertragung der Gedichte Walthers von der Vogelweide. Weite Verbreitung fanden seine 1839 erstmals erschienen Deutschen Volksbücher. Bereits in seinen Studienjahren hatte ihn seine Begeisterung für die damals wiederbelebte Sagen- und Märchenliteratur an Rhein, Ahr und in die Eifel geführt. Hier fand er eine unerschöpfliche Quelle volkstümlicher Sagen, Märchen und Legenden. Einen kritischen Blick auf die dort herrschende Armut sucht man bei ihm aber vergeblich. Ebenfalls aus Bonn stammte Gottfried Kinkel. Er hatte dort 1831 das Studium der evangelischen Theologie aufgenommen. 1834 wechselte er nach Berlin. Seit 1837 war er als Dozent für Kirchengeschichte, seit 1846 als Professor für Kunst- und Literaturgeschichte an der Universität in Bonn tätig. An der demokratischen Bewegung von 1848 beteiligte er sich zunächst als Redakteur der Bonner Zeitung, 1849 nahm er schließlich aktiv am badisch-pfälzischen Aufstand teil. Seiner Gefangennahme folgte das Todesurteil, das schließlich in eine lebenslange Festungshaft umgewandelt wurde. 1850 gelang ihm mit Hilfe seines Freundes Carl Schurz die Flucht aus dem Gefängnis in Spandau. Beide flohen nach London und Paris, später dann weiter in die USA. In seinem Londoner Exil übernahm Kinkel 1852 eine Professur für Literaturgeschichte. 1866 wechselte er als Professor für Kunstgeschichte nach Zürich. Die Ahrregion hatte er zwischen 1840 und 1843 mehrfach bereist, um „mit der großen wilden Eifelnatur ein paar Tage einsam zu leben.“ Seine Eindrücke hat er in seinem 1846 erstmals erschienenen Reiseführer geschildert. Begleiter hatte er zeitweise in dem Schweizer Kunsthistoriker Jakob Burckhardt (1818 – 1897) und dem Arzt und Schriftsteller Wolfgang Müller von Königswinter (1816 – 1873) gefunden. Beide ließen sich Johann Gottfried Kinkel, geb. 11.8. 1815 in Bonn, gest. 12.11. 1882 in Zürich Porträt von Bernhard Hoefling (um 1850). Druck, Köln, Kölnisches Stadtmuseum

17 von der romantisch wilden Kulisse Altenahrs zu einem Gedicht inspirieren, das sie zu Kinkels Buch beisteuerten. Wolfgang Müllers Ballade „Wo sie am höchsten ragen die Felsen der Ahr“ erzählt von einem Ritter, der sich der Gefangenschaft durch einen tödlichen Sprung vom Burgberg entzog.9 Jakob Burckhardt berichtet von Wanderern, die im Gasthaus Caspari einkehren und um Mitternacht ihr Lob auf Altenahr, die Eifel, den Rhein und das Vaterland überhaupt „von Felsenwand zu Felsenwand … dröhnen lassen.“10 Kinkels Reise- berichte begnügen sich dagegen nicht mit romantischer Schwärmerei und mit der Schilderung beeindruckender Natur, Landschaft, Bau- und Kunstdenkmälern, sondern lassen einen offenen Blick für die sozialen Missstände der Zeit erkennen. Die Eifel schildert er als: „rauh und steinig, im Winter durch Schneefall oft viele Wochen vom Flachlande abgeschnitten ... Nur zu Holzwuchs, Bergbau und Metallschmelzen, sonst noch zu Anbau gröberer Getreidearten und zur Viehzucht ... brauchbar ... auf den höchsten Punkten der Hochebene ... dem Anbau ganz verloren.“11 Eine seiner Wanderungen hat Kinkel auch in das Sahrbachtal geführt. Vom Hochthürmen kommend bewunderte er in Kirchsahr zunächst das Altarbild als „Beweis, wie mächtig in dem Jahrhundert vor der Reformation die bildende Kunst auch in Deutschland sich ausgebreitet hatte.“ Dem Wanderer empfahl er als Rückweg zur Ahr: „Von Kirchsahr verfolgt man denn auf einem Wege, der nicht mehr zu verfehlen ist, das muntere forellenreiche, von den allwärts zuströmenden Bächen geschwellte Flüßchen durch ein anmutiges Wiesental zwischen grünen Laubhöhen, bis man nach fast zweistündigem Marsch mit ihm an der Ahr in Kreuzberg wieder anlangt.“12 Der Weg führte Gottfried Kinkel über den Hasenberg (rechts) weiter zum Hochthürmen (links) Foto: F.-J. Verscharen (2015) Wolfgang Müller von Königswinter, eigentlich Peter Wilhelm Karl Müller, geb. 15.3. 1816 in Königswinter, gest. 29.6. 1873 in Bad Neuenahr, Arzt, Politiker und Dichter patriotischer Lyrik, beliebter Volkslieder und Sagen Holzschnitt, 19. Jh. Stadtmuseum Düsseldorf, 2138

18 Den entgegengesetzten Weg wählte etwa 20 Jahre später der Lehrer und Botaniker Philipp Wilhelm Wirtgen (1806 – 1870). Er war in gleicher Weise von der Natur des Sahrbachtals eingenommen und bestaunte das Altarbild in der Pfarrkirche, spürte aber auch die Armut und Enge: „Das Sahrtal bietet manche interessanten Parthieen dar. Man wandert durch Burgsahr und Rinzenbach (!) und erreicht in fast zwei Stunden das ärmliche Dorf Kirchsahr mit seinen zerstreuten Häuschen und einer unansehnlichen Kirche, die aber einen sehr bedeutenden Kunstschatz, ein Altarbild der altdeutschen Schule, enthält.“13 Die Zukunft des Sahrbachtals Der Weg ist durch die Anstrengungen des Freundeskreises bequemer geworden, die Schönheit des Tals ist dagegen unverändert erhalten geblieben. Seine natürliche, ökologisch intakte Landschaft kann sich mit den schönsten Regionen des Landes messen. Von den rheinischen Ballungszentren aus leicht erreichbar, zentral in einem sich neugestaltenden Europa gelegen und verkehrsmäßig gut erschlossen, kann die Eifel in eine glänzende Zukunft als touristisches Zentrum schauen. Dabei wird ihr insbesondere das inzwischen gewandelte Verständnis von Tourismus zugutekommen, der sein Augenmerk nicht mehr auf spektakuläre Attraktionen richtet, sondern Anreize zum eigenen Entdecken bietet. Schon 1985 befasste sich der Gemeinderat mit dem Konzept eines sanften Tourismus; Bürger begannen mit dem Aufbau eines Wanderwegenetzes. Erneut nahm sich seit 2003 der Freundeskreis Sahrbachtal dieser Aufgabe an, richtete sein Augenmerk aber von Anfang an auf die generationsübergreifende Belebung, Förderung und Unterstützung soziokultureller Aktivitäten und Veranstaltungen in der Region des Sahrbachtals. Umweltschutz, Landschaftspflege und Denkmalschutz sind ebenso Schwerpunkte seiner Arbeit geworden wie die Förderung von Brauchtum, Kunst und Kultur. Seine Unterstützung fanden Projekte der Jugend- und Erwachsenenbildung, der Jugendarbeit und der Altenhilfe im Sinne der verstärkten Einbeziehung der älteren Generation in das soziale und kulturelle Leben. Kirchsahr und das Sahrbachtal erscheinen bereits heute in einem neuen Licht. Die früher oft gerügte Weltfremdheit der Eifelbewohner ist weitgehend einer Offenheit gewichen, die die als erhaltens- und schützenswerte erkannte Heimat Gästen eröffnet. So bieten sich allen Interessierten Einblicke in Geologie, Botanik, Biologie, Landes- und Kunstgeschichte. Auf diese Weise will sich auch diese Arbeit dem Sahrbachtal nähern. Sie versteht sich Gegen Ende der 1920er Jahre zog es die ersten Feriengäste nach Kirchsahr. Sie brachten allerdings Neuerungen mit, die dem Pfarrer überhaupt nicht recht waren. Gegen die „...immer weiter um sich greifende sittenlose Frauenmode...“ wandte er sich 1930 mit einem Anschlag an die Kirchentür, der „...ungeziemend Gekleideten den Zutritt zur Kirche verwehrte…“. Eine Bedrohung der Einheimischen Bevölkerung sah er auch im „...Versuch einiger Sommergäste, mit bloßer Badehose oder nur Unterkleidern (Damen) bekleidet, dicht beim Ort Sonnenbäder zu nehmen...“. Als der Ortsvorsteher im folgenden Jahr plante, den Sahrbach an mehrerern Stellen zu Brandweihern aufzustauen, sah er darin nichts anderes als den Versuch „...eine Art Strandbad zu errichten...“. Pfarrarchiv Kirchsahr, Nr. 43, S. 129.

19 nicht als bloße Lokalgeschichte, in der sich Fakten aneinanderreihen, sondern will Ereignisse, Strukturen und Prozesse von nationaler und europäischer Bedeutung mit ihren Ursachen und Wirkungen in einen lokalen Bezug stellen. Unter dieser Zielsetzung löst sich Lokalgeschichte aus der Beschränktheit allein ortsbezogener Nachrichten. Die Geschichte eines über Jahrhunderte von den großen Zentren abgeschiedenen Tals zu rekonstruieren, schien anfangs kaum Aussicht auf Erfolg zu haben. In einer vom Gleichmaß täglicher harter Arbeit und Sorge bestimmten Welt gab es nur wenige Momente, die der schriftlichen Fixierung besonderer Ereignisse und der damit einhergehenden Veränderungen bedurften. Mit einer reichen Überlieferung von Urkunden und Akten war folglich nicht zu rechnen. Aber selbst für das Sahrbachtal sind schriftliche Quellen auf uns gekommen, die das Leben seiner Menschen für einen kurzen Moment vor dem Hintergrund der „Großen Geschichte“ erscheinen lassen, typische Strukturen erhellen und historische Prozesse verdeutlichen. Es bedarf nicht erst des Modebegriffs der „Mikrogeschichte“, um den Anspruch an eine Geschichtsschreibung zu formulieren, die die Einordnung lokaler Ereignisse und Strukturen in einen größeren Bedeutungszusammenhang zum Ziel hat.

20 Die Anfänge Vor- und Frühgeschichte14 Zeittafel zur Vor- und Frühgeschichte der nordöstlichen Eifel Steinzeit Zeitraum (annähernd) Altsteinzeit - mittlere - jüngere 600.000 – 8.000 v. Chr. 70.000 – 35.000 v. Chr. 35.000 – 8.000 v. Chr. Mittelsteinzeit 8.000 – 4.000 v. Chr. Jungsteinzeit 4.000 – 1.700 v. Chr. Bronzezeit - frühe - mittlere (Hügelgräberbronzezeit) - jüngere (Urnenfelder-Kultur) 1.700 – 1.500 v. Chr. 1.500 – 1.200 v. Chr. 1.200 – 700 v. Chr. Eisenzeit - ältere Hunsrück-Eifel-Kultur - jüngere Hunsrück-Eifel-Kultur - Mittellatène - Spätlatène 600 – 470 v. Chr. 470 – 250 v. Chr. 250 – 100 v. Chr. 100 – um 0 Aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit sind auf dem Gemeindegebiet nur Einzelfunde der Jungsteinzeit (4.000 – 1.700 v. Chr.) in Hürnig überliefert. Im Jahre 1938 erwarb das Rheinische Landesmuseum ein Steinbeil, das dieser Periode zuzurechnen ist. Siedlungsspuren beschränken sich auf die benachbarten Gebiete und stammen erst aus der jüngeren Bronzezeit und der späten Eisenzeit. In Hürnig gefundenes Beil der Jungsteinzeit Landesmuseum Bonn, Inv. 38/659 Foto: Andreas Schmickler

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