Enges Tal und weite Welt

209 Die Zahl der Hexenprozesse ging erst im Verlauf des 18. Jahrhundert allmählich zurück. Im Rheinland wurde 1738 die letzte Hexe im jülisch-bergischen Gerresheim hingerichtet. Zum letzen Mal führte man 1775 in Kempten und 1793 in Posen eine angebliche Hexe zum Scheiterhaufen. Die Zahl der Opfer lässt sich kaum errechnen. Früher mit 100.000 zu hoch geschätzt, geht man heute von 20.000 bis 30.000 Opfern in Deutschland aus.376 Für das Herrschaftsgebiet der Kölner Kurfürsten kann man von etwa 2000 Opfern ausgehen. Die Kirche distanzierte sich erst spät von der Hexenverfolgung. Den ersten Schritt zur Rehabilitierung der Verfolgten unternahm 1997 die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. Im Jahr 2000 bekannten sich die deutschen Dominikaner in einer Erklärung zu den Verstrickungen ihres Ordens und im selben Jahr schloss Papst Johannes Paul II. in seiner Schulderklärung alle Menschen ein, die von Seiten der Kirche Unrecht erfahren haben. Aber weiterhin ist die Teufels-austreibung Bestandteil katholischer Lehre und Liturgie. In einer ständig komplexer und dadurch unübersichtlich werdenden Welt scheint der Glaube an Teufel, Dämonen und mit ihnen verbündete Menschen eher wiederaufzuleben, liefert er doch ein vermeintliches Erklärungsmodell für unvorhergesehene und in ihren Ursachen nicht fassbare Ereignisse. Die Esoterikszene erlebt seit Jahren einen unbeschreiblichen Aufschwung. Jeder zweite Deutsche glaubt an die Ernsthaftigkeit der Astrologie, 10 % praktizieren sie selbst und 14 % glauben an die Wirksamkeit magischer Rituale. Die täglich gelesenen und mit Blick auf die eigenen Wünsche, Hoffnungen oder Ängste in die Lebensgestaltung eingehenden Horoskope, religiös verbrämte Handlungen zur Abwehr von Gefahren, wie das Abbrennen von Palmzweigen bei Gewittern, Wahrsagerei, Pendeln, Karten- und Kaffeesatzlesen, Heilen durch Handauflegen, das Tragen von Amuletten und Glückbringern und ebenso der Versuch, Kontakt mit dem Jenseits aufzunehmen, sind tägliche Erscheinungen unserer modernen, angeblich allein von der Vernunft bestimmten Zeit. Die Zuschreibung des „bösen Blicks“ führt weiterhin zur Ausgrenzung von Menschen und selbst der Glaube an Schadenszauber ist nicht nur in Lateinamerika, Südostasien und vor allem in Afrika hochaktuell. Seit 1960 sind vermutlich mehr Menschen Hexenverfolgungen zum Opfer gefallen als während aller mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Verfolgungsperioden. Titelseite der zweiten Auflage der Cautio Criminalis, 2. Auflage, Frankfurt a.M. 1632. Druckort und Drucker sind fingiert. Bayerische Staatsbibliothek

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