218 die Unterherrschaft hatte einen eigenen Beitrag zu leisten und war daher von den Beiträgen des Amts ausgenommen. Die Freisheimer hatten die darüber ausgestellten Urkunden (Prieff) jedoch nicht vorlegen können. Sie waren durch Brand verloren gegangen. Auch die Bewohner von Kirchsahr waren zur Berichterstattung aufgefordert worden.386 Die Ältesten konnten hier 1736 zwar keine genauen Zahlen angeben, ihre Aussage bestätigt aber die Unrechtmäßigkeit der den Freisheimern auferlegten Mehrfachbelastung. Sie hatten nach altem Recht in Kriegszeiten „…gleich anderen anliegenden Underherligkeiten…“ nur einen festen, auf alle acht Haushalte umgelegten Beitrag an die kurfürstliche Regierung zu entrichten. Einquartierungen und Durchmärsche waren ihnen zwar erspart geblieben, die Militärbehörde hatte aber auch hier Verpflegung für Soldaten und Pferde verlangt. Bei aller Übereinstimmung in der Schilderung der Kriegszustände, unter denen sich feindliche und eigene Truppen gleichermaßen über Recht und Gesetz hinwegsetzen, zeigt sich in den Zeugenaussagen doch eine Unstimmigkeit. In Kirchsahr legte man sich bei der Schilderung der Kriegsereignisse auf kein Jahr fest. Der 1736 in Freisheim befragte Zeuge sagte dagegen aus, dass Durchmärsche, Einquartierung und Heereslieferungen 50 Jahre zurücklägen. Diese Angabe führt allerdings nicht in die ersten Jahre des Spanischen Erbfolgekriegs, sondern in die Zeit der Reunionskriege. Auch damals standen der Kurfürst von der Pfalz und der Kaiser als Verbündete gegen Frankreich und den Kölner Erzbischof. Die genannte Zahl wird man aber nur bedingt für eine exakte zeitliche Festlegung der beschriebenen Ereignisse heranziehen dürfen. In einer Zeit, in der das Leben der bäuerlichen Bevölkerung im Wesentlichen vom Gleichmaß des Alltags bestimmt war, Erinnerung sich allein auf den engen Lebensbereich der Familie und des Dorfes beschränkte und die Aufzeichnung von Ereignissen für die Nachwelt in dieser Schicht gänzlich unüblich war, dienten solche Zahlen meist nur dazu, die zwischen einem Ereignis zurückliegende große Zeitspanne zum Ausdruck zu bringen. Selten erreichten die Menschen in der frühen Neuzeit ein Alter jenseits der 60 Jahre, sodass die eigene Erinnerung selten über 50 Jahre hinausreichen konnte. Der in solchen Fällen häufig benutzte Begriff „Menschengedenken“ deckt sich mit diesem Sachverhalt. Die Abweichung von 18 Jahren, die zwischen der Aussage des Befragten und den Ereignissen von 1702 liegt, ist jedoch zu groß, um allein als unspezifische Zeitangabe erklärt werden zu können. Dem protokollführenden Schultheißen hätte sie jedenfalls auffallen müssen. Auch vor 300 Jahren machten die Menschen ihre Erinnerungen an wichtigen Ereignissen in ihrem persönlichen Umfeld fest. Geburt, Tod, Heirat, der Bau eines Hauses usw. setzten ihnen Zeitpunkte, mit deren Hilfe sie z. B. auch Kriegsgeschehen einordnen konnten. An den Spanischen Erbfolgekrieg hätte sich 1736 auch noch ein Vierzigjähriger erinnern können, während die Reunionskriege nur noch den Ältesten erinnerlich sein konnten.
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