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elgien hat die Energiewende verpasst, deswegen steht das
Land jetzt vor einem Problem.“ Was sich zunächst
nur
nach
einem wirtschaftlichen Fallstrick anhört, ist Städteregionsrat
Helmut Etschenberg längst als Angstfaktor bewusst. „Hier wird mit
unserer Gesundheit und unserem Leben
russisches Roulette
gespielt“,
spricht er die Befürchtungen Tausender aus, weil die belgischen
Pannenmeiler
Tihange 2
und
Doel 3
weiter aktiv sind.
Dass die Stromversorgung beim Nachbarn ohne sie kollabieren
würde, glaubt er nicht: „Sie waren monatelang nicht am Netz, und
die Energieversorgung hat funktioniert“, pocht er auf kurzfristige
Abschaltung und Ersatzmaßnahmen. Doch dem stellt sich die belgi-
sche Regierung massiv entgegen. Etschenberg schließt Lobbyismus
nicht aus: „Die belgische Tageszeitung
Le Soir
hat Auszüge aus
einem Kontrollbericht über die Atomaufsicht im Land veröffentlicht.
Darin tauchen Zweifel an deren Unabhängigkeit auf. Zumal der
heutige Chef der Behörde früher das Kraftwerk in Doel geleitet hat.“
Keine Panik schüren
Worte und Taten widersprechen sich aus Sicht des Städteregions-
rats: „Während Innenminister Jan Jambon und der Atomaufsichts-
chef Jan Bens die Sicherheit der Atomkraftwerke weiter betonen,
beginnt die belgische Gesundheitsministerin mit der Verteilung von
Jodtabletten an alle Haushalte.“ Das würde Etschenberg auch in
Aachen und Umland begrüßen. Nicht, um Panik zu schüren, son-
dern um Angst entgegenzuwirken.
Schönreden lasse sich ohnehin nichts: „Zwischen einem Unfall
und dem Eintreffen einer atomaren Wolke über der Städteregion
würden kaum drei Stunden vergehen“, betont er die Wichtigkeit des
Katastrophenschutzes. Doch der GAU lasse sich verhindern: „Indem
Tihange 2
abgeschaltet wird!“ Genau das will er mit einer Allianz von
70 Kommunen erreichen. Auf eine erste folgt eine zweite Klage, „in
der die persönliche Betroffenheit der Menschen nachzuweisen ist“.
Nur 70 Kilometer trennen unsere Region von einem der stör-
anfälligsten Atomreaktoren der Welt. Wie empfinden Sie das?
Im Dezember 2015 habe ich an einer Kundgebung des Aachener
Bündnisses gegen Atomenergie teilgenommen und etwas wahr-
genommen, was ich in dieser Form noch nicht erlebt habe: Angst in
den Augen der Menschen. Daher habe ich mit Zustimmung aller
Fraktionen alle rechtlichen Möglichkeiten geprüft, um eine Still-
legung von
Tihange 2
zu erwirken und damit auch die Sicherheit der
540 000 Bewohner der Städteregion zu gewährleisten: Wir haben
Klage vor dem Staatsrat (oberstes Verwaltungsgericht) eingereicht.
Wie sind die Erfolgsaussichten?
Nach meiner Lesart sind die Erfolgsaussichten als
gut
zu bewerten.
Das mag man auch daran erkennen, dass sich das Land NRW nach
anfänglicher Skepsis nun der Klage angeschlossen hat. Dennoch bin
ich der festen Überzeugung, dass wir eine Stilllegung des Reaktor-
blocks nur über politischen Druck erreichen können. Eine Allianz von
über 70 Kommunen mit Millionen Menschen übt diesen aus.
Wie stehen Sie zur Haltung von Oliver Paasch?
Ich schätze den Ministerpräsidenten der Deutschsprachigen Gemein-
schaft Belgiens sehr. Als ein Bestandteil des belgischen Staatsgefüges
kann er, was für mich nachvollziehbar ist, sich nicht unserer Klage
anschließen. Aber er teilt unser Ziel.
Bereiten Ihnen – abgesehen von einem Nuklearunfall – auch
Gefahren wie Terrorismus oder Erdbeben Sorgen?
Schon lange vor den Terroranschlägen in Brüssel haben wir uns über
drohende Gefahren Gedanken gemacht. Mensch und Natur bergen
Risiken, die kaum zu kontrollieren sind.
Hand aufs Herz: Haben Sie bereits Jodtabletten im Haus?
Nein, habe ich nicht.
VORGESTELLT
Foto: Städteregion Aachen/A. Herrmann
FRAGE
BOGEN
Geburtsdatum: 20. 6. 1947
Geburtsort: Aachen
Familienstand: verheiratet,
zwei Kinder
Beruf: Städteregionsrat
Ziel:
Tihange 2
abschalten!
Helmut
Etschenberg
Kein russisches Roulette
Die Städteregion Aachen ist Vorreiter im Kampf gegen belgische Pannenmeiler
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